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Zum Sterben schön. Eine Ästhetik der Vergänglichkeit
Kolumne
In den Kulissen des künstlerischen Schaffens tanzt der Tod eine bedeutende Rolle. Von dramatischen Theaterstücken bis hin zu opulenten Aufführungen der Oper ist das Motiv des Bühnentods der Dreh- und Angelpunkt unzähliger Produktionen. Häufig ist es der klassische Grundkonflikt, der die Handlung vorantreibt: eine Dreiecksgeschichte, eine verhinderte oder unmögliche Liebe, die zu Rivalität und Rache, Verzweiflung, Wahnsinn oder zum Selbstmord führt.
In der Oper erfüllt der Tod die Szenerie mit seiner eigenen musikalischen Sprache. Aber auch im Ballett wird der Tod auf eine einzigartige Weise inszeniert. Hier wird er im klassischen Ballett nicht nur als tragische Figur dargestellt, sondern vor allem als ästhetischer Ausdruck. Das Ballett haucht dem Tod eine beinahe greifbare Lebendigkeit ein und lotet gleichzeitig die Zerbrechlichkeit des Lebens sowie die tiefen Emotionen aus, die es begleiten, denken wir dabei nur an Anna Pawlowas Interpretation von Michail Fokins Choreographie des Sterbenden Schwans. Das Ballett nutzt dabei nicht nur die tänzerische Ausdrucks- kraft, sondern auch die künstlerische Gestaltung von Kostümen, insbesondere die des ikonischen Tutus, um die Darstellung des Todes zu verstärken. Das transparent weiße, wadenlange, so genannte romantische Tutu hat seinen Ursprung im 19. Jahr- hundert und war mit der Erfindung des Spitzenschuhs und dem Spitzentanz von der Tanzbühne nicht mehr wegzudenken. Zu dieser Zeit wurden Theaterkulissen zunehmend mit Gaslichtern und den ersten elektrischen Lampen beleuchtet, die das Spiel mit Licht und Schatten, mit der Transparenz von halbtransparenten Vorhängen ermöglichte und zu illusionistischen Darstellungen inspirierte. Diese mystische Kulisse, in der das Tutu fast wie ein schwebender Schleier erschien, beflügelte nicht nur die Fantasie des Publikums, sondern auch Librettisten, Komponisten, Regisseure und Bühnenbildner im Romantischen Zeitalter. Die Transparenz und Leichtigkeit des Tutus verstärkten den Effekt, indem es den Eindruck erweckte, dass die Tänzerin förmlich durch den Raum schwebe – eine Anmutung, die an Geister oder übernatürliche Wesen erinnerte. Es unterstrich die Ästhetik des Todes oder einer übernatürlichen Erscheinung, wie die von Geistern, Feen oder anderen spirituellen Wesen.
In diesem kulturellen Kontext wurde der Tod nicht mehr als das endgültige Ereignis betrachtet, sondern als ein ästhetisches Konzept verstanden, mit dem menschliche Endlichkeit mit dem Jenseitigen verbunden wurde. Im Ballett Giselle führt die Liebe an sich zum Tod. Die Ästhetisierung des Todes manifestierte sich als kulturelle Tendenz in verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen, einschließlich des klassischen Balletts. Sie spielte sich nicht nur als zentrale Frage auf der Bühne ab, sondern auch als eine existenzielle Frage des wirklichen Lebens im 19. Jahrhundert.
Entnommen aus der Ballettzeitung No. 2, Text: Katja Wiegand.